Nils Henkel vor dem PAPA RHEIN Portrait für Food Fellas Magazin

Nils Henkel über Turbulenzen, die Coronakrise, neue Wege und veränderte Erwartungen

Nils Henkel gilt als einer der besten Köche Deutschlands. Sein Küchenstil ist geprägt durch eine starke Naturverbundenheit und eine Passion für Gemüse und Kräuter, die er facetten- und aromenreich mit einer filigranen, ihm eigenen Stilistik auf die Teller bringt.

Auf unterschiedlichen Stationen hat Nils Henkel diverse Auszeichnungen erhalten:

2009 wurde er vom Gault Millau als Koch des Jahres ausgezeichnet, 2010 erschien sein Kochbuch Pure Nature im Fackelträger Verlag und die Leser:innen des Diners Club Magazins kürten ihn zum innovativsten Koch, 2012 wurde er von RollingPin zum Koch des Jahres gewählt und 2017 vom Magazin „Der Feinschmecker“ als Koch des Jahres ausgezeichnet. Als Küchenchef des „Restaurant Schwarzenstein – Nils Henkel“ im Rheingau erhielt er bereits kurz nach der Übernahme im November 2017 zwei Sterne im Guide Michelin.

Nachdem sich die Betreiber der Burg Schwarzenstein parallel zur ersten Coronawelle entschieden hatten das „Restaurant Schwarzenstein“ nicht mehr weiter zu betreiben, ging Nils Henkel neue Wege. Seit August 2020 ist er Küchenchef des Restaurants BOOTSHAUS im PAPA RHEIN HOTEL in Bingen und verantwortet dort ein lässiges Küchenkonzept mit besten Produkten.

Ganz aktuell ist sein zweites Buch FLORA erschienen, das seine vegetarischen Gerichte der letzten Jahre zeigt und bereits mehrfach ausgezeichnet wurde.

Deichkäse, Gurke, Remoulade, Borretsch von Nils Henkel

Wir haben mit dem Spitzenkoch gesprochen – über Turbulenzen der letzten Jahre, seine Neufindung, langfristige Auswirkungen der Coronakrise für die Gastronomie-Branche und in Hinblick auf die Erwartungen von Gästen und natürlich auch über Herausforderungen, Ansporn und das Glück einer ambitionierten gemüsereichen Küche.

Food Fellas Interview mit Spitzenkoch Nils Henkel

Food Fellas: Um das Thema Corona kommt aktuell niemand herum, deswegen möchten auch wir mit diesem Thema einsteigen. Weltweit stellt das Jahr 2020 eine Zäsur dar, für Dich gab es diese zusätzlich aufgrund des Wechsels aus der Sternegastronomie auf Burg Schwarzenstein ins Restaurant BOOTSHAUS des HOTEL PAPA RHEIN. Gibt es Deiner Meinung nach Gastronomiekonzepte, die krisensicherer als andere sind?

Nils Henkel: Da muss ich leider gleich mit einer Gegenfrage beginnen:

Was ist denn heute, nach den Erfahrungen der vergangenen Monate und nun fast schon Jahre, überhaupt noch krisensicher?

Sicherlich gibt es gastronomische Konzepte, die leichter auf Veränderungen reagieren und sich schneller umstellen können. Vor allem haben eher etablierte Betriebe die Möglichkeit, auf einen Außer-Haus-Service oder einen Boxenservice zu switchen. Aber auf Dauer kann das nicht die Lösung sein und bringt lange nicht den benötigten Umsatz. Wir wollen für unsere Gäste kochen und diese mit dem Genusserlebnis in unseren Häusern glücklich machen. Wenn plötzlich keine Gäste mehr kommen (dürfen), dann fehlt uns die Grundlage für unser Tun.

Food Fellas: Im PAPA RHEIN hast Du nach drei Monaten Öffnungsphase den ersten Winter direkt mit einem harten Lockdown erlebt und auch in diesem Dezember stehen die Gastronomen wieder vor ungewissen Zeiten. Wie gehst Du als Küchenchef und auch persönlich mit der Situation um?

Nils Henkel: Gute Frage, aber hier muss man wirklich differenzieren.

Als Küchenchef war der letzte Winter schlichtweg eine Katastrophe. Die Ungewissheit und das Nicht-Arbeiten-Dürfen hat mich sehr zermürbt. Und auch jetzt sehen wir leider wieder sehr unsicheren Zeiten entgegen.

Für mich persönlich war die Zeit im Lockdown eine sehr erfüllte Zeit. Ich habe mein zweites Kochbuch FLORA fertiggestellt, hatte sehr viel Zeit mit meiner Familie zu Hause. Ohne Lockdown wäre das wohl nie der Fall gewesen. Aber so fremdbestimmt zu Hause bleiben zu müssen war sowohl für mich als auch für mein Team eine schwierige Erfahrung, die keiner von uns mehr erleben möchte.

Kaisergranat, Chorizo, Artischocke, Gewürzzwiebel von Nils Henkel

Food Fellas: Was denkst Du werden langfristig die größten Veränderungen der Coronakrise für die Gastronomie sein?

Nils Henkel: Die Veränderung findet gerade in der gesamten Gesellschaft statt. Alle hatten Zeit zum Nachdenken, zum Umdenken.

Für die Gastronomie bedeutet das sicherlich, dass wir in Zukunft kritischere Gäste haben werden, die den Genuss noch mehr schätzen als vor der Pandemie. Allerdings werden sie die Herkunft von Produkten und Zubereitungen noch mehr hinterfragen als bisher. Das sollte die Gastronomie zum Umdenken bringen.

Eine ganz wichtige Frage dabei sollte immer sein: Wie nachhaltig ist unsere Arbeit? Wie nachhaltig und wertschätzend gehen wir nicht nur mit Produkten, sondern auch mit unseren Mitarbeitern und uns selbst um?

Sellerie Sandwich, Trüffel, Pfifferlinge, Eiweiß von Nils Henkel

Ich hoffe, dass die Zeit auch die Gäste etwas sensibler für unsere Branche gemacht hat. Wir brauchen die Wertschätzung für unsere Arbeit, vor allem auch in der Preisgestaltung, damit wir unsere Mitarbeiter entsprechend honorieren und weiterhin für unsere Branche begeistern können.

Food Fellas: Der Personalmangel in der Gastronomie ist durch Corona verschärft worden. Hast Du Verständnis für den Berufswechsel, den wohl viele vollzogen haben?

Würdest Du, wenn Du heute wieder am Anfang einer Ausbildung stehen würdest, den gleichen Weg noch einmal einschlagen? Und: Hast Du evtl. einen Rat oder Apell an Branche, Gäste und Gastrointeressierte?

Nils Henkel: Verständnis für einen krisenbedingten Jobwechsel habe ich auf jeden Fall. Bei so viel Ungewissheit müssen sich viele Gedanken machen, wie und wo sie möglichst gut und sicher Geld zum Leben verdienen können.

Ich persönlich würde mich jederzeit wieder für den von mir eingeschlagenen Weg entscheiden. Ich hatte immer, schon zu Zeiten meiner Ausbildung, ein klares Ziel vor Augen. Dieses Ziel habe ich mit viel Ausdauer und Geduld verfolgt. Und schlussendlich auch erreicht.

Doch das Lernen und das Verfolgen von persönlichen Zielen findet nie ein Ende. Die Gastronomie entwickelt sich immer weiter. Und genau das macht den Job so abwechslungsreich und interessant.

Food Fellas: Du bist bekannt für Deine Liebe zu alten Gemüsesorten, zu Wildkräutern und giltst als einer der besten deutschen Gemüsespezialisten. Warst Du schon immer in dieser Richtung besonders interessiert oder haben vegetarische Trends und Themen wie Klimakrise, Erhaltung der Lebensräume für Tiere und Pflanzen (alles ja in Hinblick auf die Ausbreitung von Viren ebenfalls relevant) für Deine Ausrichtung eine Rolle gespielt?

Nils Henkel:

Die Faszination für Gemüse war bei mir schon immer vorhanden. Trends haben meine Interessen und meine Leidenschaft nur selten beeinflusst. Heute wissen wir besser denn je, dass eine Ernährung mit guten Produkten, und damit meine ich mit regional, fair und ökologisch wertvoll entstandenen Produkten, für alle gut ist: Für den Menschen, für das Klima, für die Umwelt.

Deshalb ist es immer wieder eine wunderbare Herausforderung und ein Ansporn, Gemüse abwechslungsreich in Szene zu setzen. Dabei sind die Möglichkeiten schier endlos! Seit mittlerweile mehr als zehn Jahren arbeite ich konsequent mit Gemüse und hatte als einer der ersten ein Gemüsemenü auf der Karte. Was am Anfang recht zögerlich ausprobiert wurde, erfreut sich heute immer größerer Beliebtheit.

Zwetschge, rote Bete, Heumilch, Kardamom von Nils Henkel

Food Fellas: Als letztes kommt eine unserer Lieblings-Food-Fellas-Fragen. Heute in 5 Jahren blickst Du auf den Dezember 2021 zurück und denkst:

Nils Henkel: Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen und im Rahmen unserer Möglichkeiten gehandelt und (fast) alles richtig gemacht. Kein Weg ist jemals in Stein gemeißelt, wir sollten immer offen und empfänglich sein für Veränderungen und neue Wege, ohne uns dabei selbst aus den Augen zu verlieren. Meine Blickrichtung ist immer vorwärts.

Lieber Nils, vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute!

Foto-Credits
Portraits: (c) Dominik Ketz für Papa Rhein Hotel
Food: (c) Wonge Bergmann für Nils Henkel


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