Bild von Kellner fourseasons für Food Fella Blog

Die Four-Seasons-Frühstückstandards: meine Für-Immer-Lieblingsgeschichte

Und weil das Trinkgeld zum Schluss kommt, schieb‘ ich mal eben den Buchstabennudelteig dafür zur Seite und breite mich aus in meiner Für-Immer-Lieblingsgeschichte der Four-Seasons-Frühstücksstandards.

From deep in my heart und mit aller Liebe, ich mochte es sehr, da zu arbeiten

Four Seasons war damals eine zierliche Luxushotelkette, als sie beschlossen, sich 1996 in Deutschland, in Berlin, am Gendarmenmarkt niederzulassen, war das bis zum 11.9.2001 eine ziemlich sensationelle Idee.

Außerdem: Die Nähe zu einem Borchardt, das noch in den Kinderschuhen steckte und doch schon von unfasslicher, bezaubernder, abstoßender und verführerischer Grandezza, Arroganz und Berliner Laissez Faire war, hatte für all die Berlinale-Stars, denen das Heimelige bei uns manchmal ein bisschen zu dick im Teppich und aufgetragen war, eine sie mühelos auch wieder zurückstolpern lassende Nähe ins Authentische. Außerdem das beste Schnitzel und die damals schon schönsten Menschen in Berlin.

Dreimal Berlin in einem Absatz. Warum auch nicht. Wir reden von 1996. Smells like Teenspirit. Here we are now. Entertain us. Sehr gerne.

Haben „Sie“ folgende Szene vor den Augen:

64 Plätze im Restaurant und 204 Doppelzimmer im Hotel. Standards & Dialogfetzen mit viel nonverbaler Kommunikation… Und ab dafür:

Kellnerin & Managerin:
Guten Morgen, (wichtig: Augenkontakt. Ohne güldet nicht. Gern genommener kleiner Hinweis für die Augenkontaktanfänger: so lange, bis Sie sich die Augenfarbe des Gastes merken können. Ein schönes Synonym für: flirten Sie mit ihm!). Am besten unter Nennung des gern auch korrekten Familiennamens. Des Gastes. Nicht des eigenen. Der steht auf dem Namensschildchen. Des Managers. Das Line-Stuff hatte Vornamen. Ich weiß. Ist aber eine andere Kolumne) Herr Müller!

Gast:
Guten Morgen (Augenblingbling beidseits), Frau (der Blick aus seinen grauen Augen schweift ab und bleibt auf meiner Brusthöhe kleben, bis … ja, es dauert, und da ist es auch schon:) Frau Schmittke!

(1996!) Möchten Sie gern im Raucher – oder im Nichtraucherbereich sitzen?

Nichtraucher.

Eine Zeitung für Sie?

Gern (raschel raschel, aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich neue Gäste dem Restauranteingang nähern und bete um irgendeine aufmerksame Kollegin, die um die Ecke gebogen kommt, denn, was ich weiß (Herr Müller aber noch nicht) wir sind erst am Anfang unserer wundervollen Bekanntschaft. Ich erahne sogar schon Komplikationen, sollte nicht Herr Müller ein schlichter Kaffeetrinker sein, aber selbst da hätte ich Fragen ungewohnten Ausmaßes.)

Wenn Sie mir folgen möchten.

Herr Müller schwebt hinter mir über den Teppich, bis ihm auffällt, dass ich ihn nicht an einen Tisch mit Blick zum Gendarmenmarkt begleite.

Die unendliche Enttäuschung von Gästen, nicht den besten Tisch bekommen zu haben bis hin zum völligen Zusammenbruch des Bildes ihrer sozialer Stellung, alters-, hierarchie- und oder geschlechterdiskriminierend formulierter Zerschlagung jeden Hauchs meiner Kompetenz und mit lautstarker Forderung nach den Zeit- und Geduldsressourcen des Hoteldirektors wird mich mein Leben lang begleiten. Der Tisch ist selten gut genug.

Leider, und es tut mir weh, es sagen zu müssen: Je weniger die Gäste zahlen, je mehr sie mit ihren Nettotüten auf der Terrasse vom Adlon sitzen, um so mehr ist etwas einfach NICHT gut genug und kann nicht genossen und am allerwenigsten hingenommen werden. (Auch eine Kolumne für sich).

Herr Müller ist nur slightly irritated (eine unserer Lieblingsformulierung bei der Reaktion des Gastes in der Dokumentation ihrer Beschwerden. Ganz anderes Thema. Sie wissen schon: Wieder Kolumne für sich. Hashtag #KFS):

Ich würde gern hinten am Fenster sitzen.

Das sind die Rauchertische.

Herr Müller: Weil?

Wir sonst die Nichtraucher durch den Raucherbereich führen müssten.

Um ehrlich zu sein, war die Kommunikation blumiger und nicht ganz so kkp (kurz, knapp und präzise), aber die Redakteurin wedelt schon mit Auszeit-Schildern und Absätzen, neuen Kapiteln und Aufmerksamkeits-Spannen – ich muss also kürzen, wo ich kann. Allein: Ich kann gar nicht. As seen above.

Nehmen wir an, Herr Müller sitzt endlich. Ich habe ihm (Standard 4) selbstverständlich den Stuhl zurechtgeschoben (#KFS – zur Erinnerung: Kolumne Für Sich: Männer und ihr Unvermögen, sich den Stuhl ranschieben oder in die Jacke helfen zu lassen. Lieblingsreaktion: DAS KANN ICH SELBER. Wütend oder gönnerhaft. Ich zucke innerlich seit Jahren mit den Schultern, ich finde beide Gesten zauberhaft).

Er schaut mich an. Ich räuspere mich. Und beginne schweren Herzens:

Kaffee oder Tee für Sie?

Kaffee.

Mit Milch?

Ja.

Heiß oder kalt?

Herr Müller schaut von seiner Zeitung auf. Sie müssen jetzt ganz tapfer sein, blinzeln meine Augen. Herr Müller ist beruhigt, wendet sich seiner Zeitung wieder zu und ist so ahnungslos und meine Kellnerinnen und Kellner flattern luxushotelmässig zurückhaltend um mich herum und versuchen, meine Aufmerksamkeit zu erhaschen, um mir etwas mitzuteilen, was ich lange weiß: Wir haben keinen Platz mehr. Vor dem Restaurant hat sich eine Schlange gebildet, die bis zu den Fahrstühlen reicht. Und ich bin erst bei Standard 7. Weiter geht’s, Herr Müller:

7 nochmal: Heiß oder kalt?

Kalt.

Ich zögere kurz. Aber hey. Wir müssen da jetzt beide durch:

Vollfett oder fettarm?

Die Zeitung raschelt ein wenig aggressiver, scheint es meinen Ohren. Normal, brummelt es aus dem klugen Kopf dahinter. (#faz)

Möchten Sie einen Saft?

Gern.

Orange oder Grapefruit oder etwas anderes?

Herr Müller ist wieder versöhnt: Was gibt es denn noch?

Ach, sage ich, und giesse dabei schonmal Kaffee ein, der immerhin in Thermoskannen vorbereitet auf den Service-Tischen stehen darf: Alles. Tomate, Apfel, Karotte.

Orange ist in Ordnung, meint er und freut sich auf seinen Kaffee. Ich nicke ihm aufmunternd zu. Trink, denke ich, bitte, genieße es. Es wird, während ich den Orangensaft ebenfalls aus einer Karaffe einschenke, lange das letzte sein, das ich Dir zum Tisch bringe und ohnmächtiges Mitleid macht sich in mir breit.

Denn gleich wird das dünne Eis zwischen uns brechen:

Was möchten Sie denn frühstücken, Herr Müller? (Hier muss man immer ein bisschen schauen. Der Name darf nur dreimal genannt werden, sonst gibt es Punktabzug. Zwei hab ich schon verpulvert, ich sollte es einmal den Kollegen überlassen).

Herr Müller ist nun slightly genervt, hofft aber immer noch, unbeschadet aus der Nummer rauszukommen und schaut sich suchend um. Ich kenne seine Frage und BÄM:

Ich gehe ans Buffet, wo ist das denn?

Ich schlucke an der Wahrheit herum, an unserem Luxusservice, an unserem brillanten Konzept und daran, die Beziehung zu Herrn Müller nun neu definiert zu wissen:

Wir servieren á la carte Frühstück

Der Ausdruck in seinen Augen (grau) bekommt Ungläubiges. Ich bin zu dem Zeitpunkt 24 Jahre alt und kontere noch mit meinem fröhlichen Gesicht völliger Unbedarftheit und plaudere fröhlich vor mich hin (Standards 12, 13, 14, 15) über Konzept. Vorgehensweise. Prozess. Eierkarte. Aushändigen der selbigen.

Entsetzen des Gastes nutzen und die nächsten fünf Fragen zwar mit wattierter Spitze, aber trotzdem abfeuern, denn Unheil naht.

Der Hoteldirektor steht am Eingang des Restaurants. Und mit ihm all diese Gäste, die mir seit zehn Minuten zugucken, wie ich mich in innigem Augenkontakt mit einem Gast und/oder seiner Zeitung befinde.

18. Was hätten Sie denn gern in Ihrem Brotkorb, gern auch einen Maismuffin oder etwas Süsses?
19. Möchten Sie eine Wurst – und Käseplatte?
20. Ausschluss von Dingen, die er nicht mag.
21. Haben Sie schonmal in die Eierkarte geschaut.

Nein, grummelt er mich an, und er möchte gar nicht sauer auf mich sein, ich weiß, ich gönne ihm trotzdem eine Pause, entferne mich von ihm, sehe, dass dieses herrliche Team in diesem absurden Theaterstück: „À la carte Frühstück in Mitte“ alles tut, um irgendwie Tische abzuräumen und neu einzudecken und die Gäste und den Hoteldirektor bei Laune zu halten. Dem ich höflich zunicke und an ihm vorbeieile, denn ich muss mein Körbchen für Herrn Müller füllen.

Kaffeekanne zum Nachfüllen, gesilbert und ohne Kaffee-Tropfen aufs Silbertablett, Brotkorb mit sauberer Serviette. Bestellung vollständig und in so wenig Besuchen am Tisch wie möglich abliefern.

Guten Appetit, brauchen Sie noch etwas, Herr Müller?

Erschöpft schaut er hoch zu mir. „Nein“, flüstert er, er hat Angst, ich spüre es. Es ist überstanden, will ich ihm ins Ohr flüstern. Es wird ihn nur noch jemand fragen, ob alles in Ordnung war. Um seine Zimmernummer und Unterschrift bitten. Verabschieden.

„Ich wollte doch nur frühstücken.“ …

Bis 11.30 Uhr werden wir fünf abteilungsleitende Manager im Einsatz gehabt haben, die sich um die Beschwerden kümmern und Zimmerfrühstück servieren. Und…

Ebenfalls bis 11.30 Uhr werden die Kollegen in der Küche an dem fehlenden Buffet verzweifeln, Müsli in Schälchen füllen, Special K, Wurstplatten legen und Käse und Cornichons dazu, ach nein, doch nicht, das mag der Gast nicht, auch nicht den Geruch.

Bis 11.30 Uhr werden unzählige Stoßgebete den Himmel erreichen, wenigstens ein kleines Buffet hinzustellen für den ersten Hunger, wenigstens einen Standardbrotkorb hinstellen zu dürfen, ein Jahr später werden wir erhört werden, und das Café Möhring in der Nähe wird am Umsatzeinbruch merken, dass wir nun endlich unsere Gäste ernst nehmen.

Bis dahin stand ich jeden Morgen da. Herr Müller brachte mir bei jedem Aufenthalt ein Croissant aus dem Lafayette mit.

Robbie Williams rief an und fragte höflich, ob es irgendwie machbar wäre, dass er sein Zimmerfrühstück vollständig bekäme.

Es irritiere ihn more than slightly, dass ständig jemand klingele, weil a) die Butter, b) die Marmelade xyz) die Tageszeitung fehlte. (Die schlauen Kellner hatten demokratisch entschieden, dass sie ihn alle mal sehen dürfen und ihm also alles einzeln servieren wollten.)

Als Sean Connery reinkam, dachte ich, dass ich vor Aura umfallen muss und ähnliches dachte ich, als ich elefantengleich hinter Nicole Kidman hertrampelte, allerdings nicht, dass sie vor lauter meiner Aura umfällt, sondern einfach in der Mitte ihrer 2.50 Meter durchbricht. Tat sie nicht.

As I said: Ich liebte es sehr. Der Luxus holperte und stolperte, aber er trug, er war speziell, wir brannten für den Laden, für die Kette und dieses Berlin. #IloveMyJob


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